Schiffsarzt auf Expeditionskreuzfahrt

Bei „Expedition Cruises“ handelt es sich um Kreuzfahrten im Luxussegment, die sich durch besondere, exotische Fahrtgebiete auszeichnen. Einige dieser Schiffe verfügen über eine Eisklasse zur Fahrt in die Polarregionen. Dabei sind diese Expeditionsschiffe selten wirkliche Eisbrecher, die hauptsächlich unter russischer Flagge in der Arktis operieren, sondern meistens Eisverdränger mit unterschiedlichen Eisklassen [1]. So befähigt zum Beispiel die Eisklasse 4 zu Fahrten durch gelockertes Packeis [2]. Da die Saison für Expeditionen in die Arktis und Antarktis begrenzt ist, werden zusätzlich Fahrtgebiete wie der Amazonas oder die Südsee angesteuert [3]. Der Autor Dr. Peter Filzmayer berichtet exemplarisch von seinen Einsätzen als Schiffsarzt auf der „MS Bremen“ und der „MS Hanseatic“.

Ausstattung an Bord

Die „MS Hanseatic“ und die „MS Bremen“ haben eine Kapazität für bis zu 160 Passagiere bei 120 Besatzungsmitgliedern. Beide Schiffe verfügen über Bordhospitäler, die entsprechend der Expe- ditionsrouten optimiert sind und neben umfang- reichen diagnostischen und therapeutischen Optionen auch in begrenztem Umfang notfallchirurgische Eingriffe ermöglichen. Die chirurgische Therapieoption ist insbesondere bei Fahrten außerhalb einer Evakuierungs- und Repatriierungsreichweite notwendig. Auch die Bordapotheke ist entsprechend ausgestattet und von der Bevorratung für lange Fahrten über viele Wochen (Nordostpassage, Semicircumnavigation der Antarktis etc.) ausgerüstet [4]. Beide Schiffe verfügen über eine Intensivbehandlungseinheit mit entsprechenden Möglichkeiten des Monitoring bis hin zur maschinellen Beatmung. Der Schiffsarzt wird unterstützt von einer erfahrenen Krankenschwester mit intensivmedizinischer Expertise.

Anforderungen an den Schiffsarzt

Während der langen und weitläufigen Reisen, die häufig fernab jeglicher Zivilisation stattfinden, ist der Schiffsarzt weitgehend auf sich allein gestellt, da eine schnelle luft- oder wassergebundene medizinische Ausschiffung nur im Ausnahmefall möglich ist [5]. Dazu kommt ein durch das Segment der Reisen bedingter hoher Alters- durchschnitt der Passagiere mit entsprechend eingeschränkter Mobilität, die vermehrt zu Un- fällen bei den unterschiedlichen Aktivitäten an Bord oder während Landausflügen führen [6]. Expeditionsschiffe liegen nur selten in großen Häfen. Die meisten Landaktivitäten werden durch Anlandung an kleinen Inseln oder Buchten nach Ausschiffung mit Schlauchbooten realisiert. Aus der Struktur der Reisenden folgt, dass der Schiffsarzt neben einer entsprechenden fachärztlichen Qualifikation (Chirurgie, Innere Medizin oder Allgemeinmedizin) eine ausgesprochen breite allgemeinmedizinische Erfahrung benötigt, die sich prinzipiell durch das gesamte Spektrum der Medizin zieht [7]. Darüber hinaus sind fundierte Kenntnisse in der Notfallmedizin erforderlich, wie sie sich zum Beispiel in den Curricula der Kursangebote Advanced Cardiac Life Support (ACLS®) und Advanced Trauma Life Support (ATLS®) widerspiegeln. Die Crewsprache an Bord ist Englisch, sodass entsprechend ausreichende Sprachkenntnisse erwartet werden.

Taetigkeitsspektrum des Schiffsarztes

Als einziger Schiffsarzt an Bord ist es zwangsläufig, 7 Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag einsatzbereit zu sein. Die eigentlichen, kurzen Sprechstundenzeiten fallen bei der Arbeitsbelastung weniger ins Gewicht als die durchgehende innere Anspannung infolge der ständigen Dienstbereitschaft [8]. Der Schiffsarzt auf Expeditions- schiffen ist daher niemals „außer Dienst“.
Zu dem eigentlichen Schwerpunkt der medizinischen Versorgung aller Personen an Bord kommen kontinuierlich Teilnahmen an schiffsinternen Kursen und Übungen hinzu sowie das Training der Crew in erweiterter Erster Hilfe (Cardiopulmonary Resuscitation, CPR) und die Anwendung der an Bord befindlichen automatisierten externen Defibrillatoren (AED). Verwaltungsaufgaben wie das Erstellen der „Health Declaration“, der „Narcotic List“, des „Gastrointestinalen-Logs“ erfordern in bestimmten Ländern wie zum Beispiel Brasilien eine tägliche Berichterstattung. Auch die Überwachung der Schiffshygiene liegt im Verantwortungsbereich des Schiffsarztes, die insbesondere bei Fahrtgebieten in den Tropen nicht zu vernachlässigen ist [9].
Im Regelfall ist der 1. Offizier/Chiefmate der unmittelbare Ansprechpartner des Schiffsarztes. Nur im Notfall berichtet entsprechend der Vorgesetztenhierarchie an Bord dieser Schiffsgröße der Schiffsarzt direkt dem Kapitän, der alle Entscheidungen im Zusammenhang mit Notausschiffungen trifft, wobei er sich vom Schiffsarzt beraten lässt. Gesellschaftliche Aufgaben auf freiwilliger Basis wie die Anwesenheit beim Dinner, Small Talk in den Gesellschaftsräumen und die Teilnahme bei diversen Feierlichkeiten runden das Aufgabenspektrum ab [10].
Erwähnenswert ist die Möglichkeit, einen reedereiinternen „Schlauchboot-Führerschein“ zu machen, sodass man sich nach theoretischer und praktischer Prüfung als „Zodiac Driver“ an den Unternehmungen und Anlandungen beteiligen kann. Dabei handelt es sich um sehr robuste Schlauchboote der Firma Zodiac mit festem Boden, mehreren Luftkammern und Außenbordmotoren.

Epidemiologie an Bord Expeditionskreuzfahrtschiff

Der besondere Retrocharme der „MS Hanseatic“ und „MS Bremen“ spricht überwiegend das klassische Kreuzfahrtpublikum an. Verbunden mit den Passagepreisen in diesem Luxussegment trifft man natürlich auf einen hohen Altersdurchschnitt der Gäste. Unerwarteterweise sind es jedoch gerade die älteren Passagiere, die an Bord aus internistischer oder neurologischer Sicht die wenigsten Probleme bereiten. Sie sind zumeist von ihren Hausärzten hervorragend auf die Expedition vorbereitet, geschult und mit ausreichender Eigenmedikation versorgt. In dieser Alters- und Kreuzfahrtzielgruppe sind durch die altersentsprechend eingeschränkte Mobilität eher Unfälle bei den Schlauchbootmanövern oder an Bord bei schwerer See zu erwarten. Es ist häufig die Gruppe der noch im Stress des Berufslebens Stehenden, bei denen aus völliger Gesundheit heraus plötzlich kardiale oder neu- rologische Probleme auftreten, was sich in der Literatur über die Epidemiologie der Passagiere auf Expeditionsschiffen widerspiegelt [11, 12].

Leben an Bord

Das Bordleben ist charakterisiert durch die kleine Schiffsgröße, die sehr viel Nähe zur Crew und zu den Passagieren mit sich bringt. Als Schiffsarzt gehört man zu den höheren Offizieren, was durch die 3 Goldstreifen als Rangabzeichen deutlich für jedermann erkennbar ist. Es ist von der Reederei und der Schiffsführung durchaus gewünscht, sich in den Passagierbereichen aufzuhalten und dort den Gästen für Fragen und Gespräche zur Verfügung zu stehen.
Die eigentliche Sozialisierung an Bord erfolgt jedoch über die Crew, zu der man einen engen und freundschaftlichen, fast schon familiären Kontakt pflegt. Das führt über das gemeinsame Essen in der Messe hinaus zu geselligen Abenden in der Crewbar. Es werden Mottopartys und private Geburtstagsfeiern bis hin zum gemeinsamen Crew-Karaoke-Singen auf dem „Zodiac-Deck“ veranstaltet. Insgesamt ist der Grad der Sozialisierung sehr hoch, der Abschied von der Crew am Ende eines Vertrages fällt immer schwer.

Expedition oder Cruise

Die Reisen in die besonderen Fahrtgebiete von „MS Hanseatic“ und „MS Bremen“ sind natürlich von großem Reiz. Fast auf jeder Reise werden Inseln angelaufen, die zuvor noch nie oder zumindest nicht von der Reederei oder von diesem Schiff besucht wurden [13]. Sogar in der Antarktis entdeckt man immer wieder neue Buchten, die für eine „Erstanlandung“ taugen. Allein hierin liegt schon ein Grund für den Anspruch „Expedition“. Auch die vielen und manchmal durch Wind und See bedingten abenteuerlichen Schlauchbootfahrten hinterlassen bei Passagieren und auch Crew durchaus Expeditionscharakter. Bei dem großen Komfort, den die Passagiere an Bord genießen, steht andererseits die Kreuzfahrt wieder im Vordergrund. Letztlich kann die Frage ob Cruise oder Expedition nicht endgültig beantwortet werden. Die Buchungszahlen bestätigen aber die Attraktivität und hohe Akzeptanz des Konzeptes.

Sowohl an die Passagiere als auch an die Crew werden auf diesen Reisen besondere Anforderungen gestellt. Die Gäste benötigen einen gewissen Grad an körperlicher Fitness, um an allen Aktivitäten teilnehmen zu können, dazu auch Flexibilität. Wetterbedingt ist es nicht immer möglich, alle geplanten Ziele zu erreichen. Änderungen der geplanten Route sind an der Tagesordnung [14]. Dazu kann es zu einem völligen Abbruch einer Reise kommen, wenn der Gesundheitszustand eines Passagiers, wie zum Beispiel durch einen Herzinfarkt, einen sofortigen Evakuationskurs erfordert. Fast eine komplette restliche Semicircumnavigation der Antarktis musste einmal wegen einer schweren Verletzung eines Crewmitglieds durch ein Schott aufgegeben werden.

Zusammenfassung

Die Besonderheiten der sogenannten „Expedition Cruises“ liegen zum einen in ihrem Preissegment und dem dadurch bedingten hohen Alters- durchschnitt der Passagiere, zum anderen an den besonderen und zum Teil exotischen Fahrt- gebieten, meistens weitab von jeglicher Zivilisation. Die medizinische Ausstattung der Schiffe ist an diese Besonderheiten gut angepasst und ermöglicht dem Schiffsarzt suffiziente Diagnostik- und Therapieoptionen. Die Epidemiologie entspricht der einer einsamen Landarztpraxis mit Krankheitsbildern aus allen Fachgebieten ohne den Rückhalt einer landgebunden Rettungskette [15]. Das Bordleben ist auf Schiffen dieser geringen Größe besonders kurzweilig durch die enge Sozialisierung mit der Crew. Flexibilität wird von den Passagieren und der Crew erwartet, vom Schiffsarzt zusätzlich ein gewisses Talent zur Improvisation. Durch die Schiffsführung wird stets versucht, den Charakter einer Expedition zu gewährleisten. Neben dem hohen Komfort der Schiffe werden spezielle Anlandungen durchgeführt, die den Ausdruck Expedition unbedingt rechtfertigen.

Literatur

01  Bukharin O. Russia‘s nuclear icebreaker fleet. Science and Global Security 2006; 14: 25–31
02  Spencer D, Jones SJ. Model-scale/full-scale correlati- on in open water and ice for Canadian Coast Guard „R-Class” icebreakers. Journal of ship research 2001; 45: 249–261
03 Adjouri N, Büttner T. Kreuzfahrtmarken. In: Adjouri N, Büttner T. Marken auf Reisen. Wiesbaden: Gabler; 2008: 216–227
04 Kriwoken LK, Rootes D. Tourism on ice: environmental impact assessment of Antarctic tourism. Impact assessment and project appraisal 2000; 18: 138–150
05 McIntosh SE, Leemon, D, Visitacion J et al. Medical incidents and evacuations on wilderness expeditions. Wilderness Environ Med 2007; 18: 298–304
06 Bledsoe GH, Brill JD, Zak D, Li G. Injury and illness aboard an Antarctic cruise ship. Wilderness Environ Med 2007; 18: 36–40
07 Schutz L, Zak D, Holmes JF. Pattern of passenger injury and illness on expedition cruise ships to Antarctica. J Travel Med 2014; 21: 228–234
08 Mark RC, Diggle R, Grant IC. Medicine and Medical Aid in Remote Settings. In: Ryan JM, Buma AH, Bead- ling CW, Mozumder A, Nott DM (eds.). Conflict and Catastrophe Medicine. 3rd Ed. London: Springer; 2002: 55–82
09 Ottomann C, Osbahr S, Ströker J, Schröter C. Tätigkeitsspektrum des Schiffsarztes auf Forschungsschiffen – Von seltenen tropischen Erkrankungen bis zu schweren Verletzungen. Flug u Reisemed 2014; 21: 202–206
10 Ottomann C, Puskeppeleit M. Als Schiffsarzt auf Kreuzfahrtschiffen: Anforderungen – Epidemiologie – Einsatzspektrum – Arbeitsbedingungen. Flug u Reisemed 2015; 22: 253–256
11 Priddy RE. An „acute abdomen” in Antarctica. The problems of diagnosis and management. Med J Aust 1985; 143: 108–111
12 Pardoe RA. Ruptured intracranial aneurysm in An- tarctica. Med J Aust 1965; 43: 344–350
13 Enzenbacher DJ. Antarctic tourism: an overview of 1992/1993 season activity, recent developments, and emerging issues. Polar Record 1994; 30: 105– 116
14 Curry C, Johnston M. Emergency doctors by sea to Antarctica: small ship medicine in polar regions. Emerg Med (Fremantle) 2001; 13: 233–236
15 Kumar A, Duong S. Surviving on the edge: medicine in Antarctica. Im Internet: www.alexanderkumar. com/wp-content/uploads/2012/09/survivingonthe edge.pdf