Bordarzt auf Flusskreuzfahrt

Flussschiffreisen finden in Europa üblicherweise ohne Arztbegleitung an Bord statt, da bei Krankheits- und Notfällen Ärzte und Rettungsdienste in Flussnähe leicht und kurzfristig erreichbar sind. Ausnahmen von dieser Regel bilden Flussschiffreisen in Russland und längere Donaufahrten, die über Budapest hinaus durch das Eiserne Tor zwischen Karpaten und Transsilvanischen Alpen hindurch in die untere Donau und bis zu ihrem Delta im Schwarzen Meer führen. Hier ist ein Bordarzt bzw. Schiffsarzt bei den meisten Reiseveranstaltern üblich.

Wir berichten über einen Schiffsarzteinsatz von Passau bis ins Donaudelta und zurück mit einer Strecke von insgesamt circa 4200 Flusskilometer auf dem Flusskreuzfahrtschiff MS Flamenco. Dieses fährt seit mehreren Jahren auf der Donau, ist 135 m lang und bietet Platz für 200 Passagiere. Bei diesem Schiffstyp sind Maschinen- und Passagierbereich getrennt, sodass für die Passagiere eine fast geräusch- und vibrationsfreie Fahrt möglich wird. Es befanden sich knapp 200 Passagiere mit einem geschätzten Durchschnittsalter von 70 Jahren und circa 50 Crewmitglieder aus 13 Nationen an Bord.

Auf der langen Flussreise bis zum Donaudelta gab es zwar einige organisatorische Unklarheiten, jedoch überwiegend angenehme Patienten und medizinische Problemstellungen, die mit etwas Kreativität zu bewältigen waren. Der Einsatz war für den begleitenden Arzt landschaftlich, kulturell sowie in der Kommunikation mit Passagieren und internationaler Crew ein großer Gewinn. Die weniger positiven Erfahrungen auf dieser Fahrt sehen wir als Anlass, einige organisatorische Strukturen kritisch zu hinterfragen und über mögliche Lösungen zu diskutieren.

Anforderungsprofil Bordarzt

Die Anforderungen an Ausbildung und notfallmedizinische Qualifikationen sind bei Flussschiffärzten deutlich niedriger gegenüber den Kollegen auf Hochseeschiffen. Auch die Schiffsarztbörse erhob bisher bei der Ausschreibung - im Gegensatz zu Einsätzen auf Forschungs- oder Kreuzfahrtschiffen - keine bestimmten Anforderungen an Berufserfahrungen oder gar solche in Notfall- und Rettungsdienst für Flussschiffärzte.
Wenn Schiffe unter der Flagge eines Landes fahren, das zur Europäische Gemeinschaft gehört, bestätigen einige Haftpflichtversicherungen den Versicherungsschutz. Fährt auf der gleichen Strecke ein Schiff unter der Flagge eines Nicht-EU-Landes, ist kein Versicherungsschutz möglich. Eine Klärung zur Berufshaftpflichtversicherung ist deshalb für jeden an Bord praktizierenden Arzt vor Antritt der Reise notwendig.
Die Position des begleitenden Arztes an Bord war auf diesem Einsatz unklar: Es gab keinen Hinweis vonseiten des Veranstalters, dass auf diesen längeren Strecken ein Arzt an Bord ist. Es gab sogar die Empfehlung vom Reiseleiter, sich nicht persönlich bei den Passagieren vorzustellen: Erfahrungsgemäß würde dies ansonsten einen Schub an nicht unbedingt notwendigen Konsultationen nach sich ziehen, und der Arzt hätte keine Ruhe mehr. Auf manchen Reisen würde der Arzt somit überhaupt nicht erwähnt. Wenn es dringend sei, dann meldeten sich die Passagiere schon am Front Desk.
Auf Drängen des Arztes wies der Reiseleiter allerdings dann doch über Bordlautsprecher auf die Möglichkeit ärztlicher Notfallbehandlung an Bord hin. Nach einem schwereren Zwischenfall erwähnte er schließlich, dass auf jeder Reise durchschnittlich ein wirklich ernster medizinischer Notfall auftreten würde. Auffällig war eine gewisse Ambivalenz der Reiseleitung gegenüber dem Arzt. Einerseits bestand der Wunsch nach Arztbegleitung an Bord, andererseits aber schien der Arzt so wenig wie möglich in Erscheinung treten zu sollen.

Bordarzt Einsatzspektrum

Unausgesprochen wurde von einer Verfügbarkeit des mitreisenden Arztes von 24 Stunden täglich ausgegangen. Dem Tag und Nacht besetzten Front Desk waren seine Kabinen- und Mobilfunknummer bekannt, sodass er zu jeder Zeit gerufen werden konnte. Nachteinsätze des Arztes waren allerdings auf dieser Reise nicht nötig. Bei Hafenlage des Schiffes stand es dem Arzt frei, das Schiff zu verlassen oder kostenfrei an Ausflügen teilzunehmen. Zur allgemeinen Sicherheit und Klarheit erfolgte in solchen Fällen eine Abmeldung unter Hinweis auf seine Mobiltelefonnummer am Front Desk. Im Notfall wären hier landgestützte Rettungsdienste der Hafenstadt alarmiert worden.
Unklarheit bezüglich notwendiger Arztpräsenz bestand in Fällen von halb- oder ganztägigen Busausflügen. Währenddessen legte das Schiff eine weite Strecke von über 100 Flusskilometer zurück und nahm die Ausflügler an einem anderen Anlegepunkt wieder an Bord. Obwohl grundsätzlich für den Schiffarzt die Möglichkeit der Teilnahme an solchen Ausflügen bestand, verzichtete er auf dieser Reise darauf und verblieb an Bord des weiterfahrenden Schiffes, auch mit Blick auf konstitutionell schwächere Mitreisende, die sich lange Busreisen nicht zutrauten.

Medizinische Ausruestung

Auf dieser Fahrt war ein Verbandskasten sowie ein halbautomatischer Defibrillator an Bord, der regelmäßig gewartet und dessen Handhabung von einigen leitenden Crewmitgliedern beherrscht wurde. Die Behandlung von Passagieren und Crew fand in den jeweiligen Kabinen statt. Es gab keinen eigens dafür vorgesehenen Behandlungsraum oder Bordhospital wie etwa auf Hochseeschiffen üblich.
Das Mitbringen weiterer medizinischer Ausrüstung und gegebenenfalls Medikamenten war dem Engagement des begleitenden Bordarztes überlassen, der - zumindest bei dieser Fahrt - weder vom Veranstalter noch von der Schiffsarztbörse hinsichtlich der Ausrüstung gebrieft wurde oder sonstige Hinweise erhalten hatte. Bei der Auswahl mussten die begrenzten Möglichkeiten des Gepäcks bei Bahnanreise des Bordarztes aus Norddeutschland zur Einschiffung nach Passau sowie der reduzierte Stauraum in einer mit zwei Personen (Begleitperson darf kostenlos mitreisen) bewohnten 13-Quadratmeter-Kabine berücksichtigt werden.
Grundlage der Ausrüstung war zunächst der Inhalt einer Hausbesuchstasche eines Allgemeinmediziners für den ärztlichen Notfalldienst: Stethoskop, Blutdruckmessgerät, zuverlässige Taschenlampe, Blutzuckermessgerät, Ohrenspiegel, Vergrößerungslupe, Splitterpinzette, Stauschlauch, Einmalkanülen, Desinfektionsspray, mehrere periphere Venenverweilkanülen verschiedener Größen (z.B. Vygonülen), Infusionssets, Ringer-250ml-Plastikflaschen zur Infusion, großzügige Auswahl von Verbandsstoffen, unsterile Handschuhe.
Darüber hinaus wurden mitgeführt: kleines batteriebetriebenes 12-Kanal-EKG (Größe 18 x 13 x 4 cm), Larynxtubus inklusive Zubehör, Ambubeutel, SAM-Splints für mögliche Notfallschienungen, Alu-Rettungsdecke, scharfe Verbands- und Rettungsschere (auch zum Aufschneiden von Kleidung geeignet), Zwei Wundnaht-Einmalsets, ausreichend Nahtmaterial 4.0 und 3.0, zusätzlich einige Paare steriler Handschuhe.

Bordapotheke

Einige häufig benötigte Medikamente sowie ein Set parenteral applizierbarer Notfallmedikation brachte der Bordarzt als Notfallausrüstung mit. Die Auswahl der mitgeführten Medikamente spiegelt die subjektiven Einschätzungen und Erfahrungen des Bordarztes wider, ist nicht umfassend und sicherlich diskutabel. Darüber hinaus wurden in den Apotheken der angelaufenen Hafenstädte Südosteuropas weitere notwendige Medikamente sowie Ersatz für einen defekten Insulinpen besorgt, sofern sie erhältlich waren. Ein Arztausweis musste dort nie vorgelegt werden.

Notfallampularium

  • Novaminsulfon 2,5g/5ml
  • Buscopan
  • Morphin 10mg
  • MCP 10mg/2ml
  • Vomex i.m.
  • Bronchospasmin
  • Euphylong 200
  • Solu-Decortin 250
  • Asprin 500 i.v.
  • Heparin 5000
  • Fragmin P forte Fertigspritzen
  • Diazepam 10mg
  • Midazolam 5mg/1ml
  • Haloperidol 5mg/ml
  • Akineton 5mg/ml
  • Glukose 40mg/10ml
  • Suprarenin 1mg/ml
  • Atropin 0,5mg/ml
  • Fenistil 1mg/ml
  • Scandicain 1% für Lokalanästhesie

Orale Medikamente

  • Ibuprofen 600
  • Tramadol 100 ret. und Tramal Tropfen
  • Hydromorphon4mgret.
  • Iberogast Tropfen
  • Pantoprazol20mg
  • MCP10mg
  • Vomex50mg
  • Eliquis2,5mg
  • Nitrolingual Zerbeisskps./Nitrospray
  • Bayotensin akut Phiolen
  • Doxicyclin 200
  • Ciprofloxacin 500
  • Azithromycin 500
  • Gelomyrthol forte
  • Augentropen zur Befeuchtung und mit Gentamycin

Leichte bis mittlere medizinische Zwischenfaelle

  • Zwei Schnittwunden (Küchenpersonal)
  • Dorsolumbalgie (Kabinenpersonal)
  • Plötzlicher Hörverlust bei Cerumen obturans
  • Versagen des Insulinpens für Mahlzeiteninsulin
  • Vergessen von Markumartabletten und INR-Messgerät zuhause (Versorgung an Bord: bei bekannt guten Nierenwerten kurzfristig auf NOAK umgestellt)
  • Hüftprellung und schweres Hämatom nach Sturz
  • Obstruktive Bronchitis mit Fieber bei schlecht eingestellter COPDNeu aufgetretenes intermittieren- des Vorhofflimmern
  • Zahlreiche Bronchitiden und Tonsillo- Pharyngo-Laryngitiden (grassierend auf dem Schiff besonders bei zunehmender Reisedauer)
  • Gastroenteritis
  • Stauungsdermatitis
  • Akuter Gichtanfall
  • Zahnschmerzen bei V. a. Zahnwurzelentzündung

Schwerer Zwischenfall mit sofortige Evakuierung

Eine gut 70-jährige Dame entwickelte das Bild einer akuten brachiocephal- betonten Hemiparese rechts mit verwaschener Sprache und zunehmender Eintrübung, beginnendes Krampfen im rechten Arm wie bei fokal eingeleitetem Krampfanfall vom Jackson-Typ. Der Patientin war vor nicht langer Zeit ein Glioblastom entfernt worden. Behandlung an Bord:

  • Intravenöse Infusion mit Ringerlactat
  • Ausschluss Hypoglykämie bei beginnendem Krampfen
  • Medikamentöse Antikonvulsionsbereitschaft (kam aber nicht zur Anwendung)
  • Vorbereiten von Kopien des Medikamentenplans und Krankenhausentlassungsbriefe für die weiterbehandelnden, ungarischen Kollegen
  • Beruhigung der Patientin und des Ehemanns
  • Übergabe an den Rettungsdienstkollegen aus dem nächstliegenden Krankenhaus.
  • Die Patientin wurde nach mehrtägiger stabilisierender stationärer Behandlung in Ungarn nach Deutschland überführt

Ein Glioblastomrezidiv wurde in der heimatlichen Uniklinik operativ entfernt.

Abrechnung an Bord

Vor der Reise erstellte der Bordarzt ein Behandlungsformular, auf dem Patientendaten, Diagnose und Behandlungsmaßnahmen skizziert wurden. Nach der Reise wurde eine Kopie mit der GOÄ-Rechnung zusammen an den Patienten geschickt mit Bitte der Weiterleitung an den zuständigen Hausarzt. Die Zahlungsmoral der Patienten erwies sich nach der Reise als gut. Es wäre für den Schiffsarzt allerdings vorteilhaft, wenn eine direkte Bezahlung über das Bordkonto des jeweiligen Passagiers möglich wäre. Die Crew wurde kostenlos behandelt. Lediglich die erforderlichen Medikamente mussten bezahlt werden, die in den Apotheken der Hafenstädte gekauft wurden.

Tipps fuer Flussschiffsaerzte

Ohne Zweifel sind auf Flussschiffreisen in Europa im Notfall landgestützte Gesundheitsdienste leichter erreichbar als auf Seeschiffen. Dementsprechend sind die Anforderungen an begleitende Ärzte auf Flüssen niedriger. Ein daraus abgeleitetes geringeres Risiko auf Flussschiffen sollte jedoch nicht dazu führen, dass an Voraussetzungen und Arbeitsbedingungen für Bordärzte keinerlei Anforderungen gestellt werden. Schon auf der Donau jenseits von Budapest und besonders im unteren Flussverlauf nach Passieren des Eisernen Tores (Bulgarien/Rumänien) kann damit gerechnet werden, dass der Zugang zu medizinischen Diensten im Notfall nicht mehr so engmaschig ist wie in Zentraleuropa.
Das Klientel auf Flussschiffen mit einem Altersdurchschnitt jenseits von 65 Jahren legt außerdem nahe, dass mit dem gesamten Spektrum an Alterskrankheiten unabhängig von medizinischen Fachgebietsgrenzen gerechnet werden muss. Passagiere treten Flussreisen mit vielen Vorerkrankungen an, die durch die jeweiligen Hausärzte am Heimatort eingestellt und behandelt sind. Einige Passagiere können auf der Schiffsreise angesichts eines anderen Lebensrhythmus an Bord mit eher wenig Bewegung und üppiger Ernährung schnell dekompensieren. Die gedankliche Vorstellung der Sicherheit eines Flussschiffs erfüllt für ältere Patienten mit grenzwertig kompensierten Krankheits - und Leidens - zuständen den Wunsch, noch einmal auf bequeme und umsorgte Weise auf Reisen zu gehen. Andere Reiseformen scheiden in solchen Fällen dann eher als zu risikoreich aus. Mit Dekompensationen muss besonders bei solchen Passagieren gerechnet werden. Auf diese medizinischen Besonderheiten sowie auf reduzierte Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie an Bord müssen sich Flussschiffsärzte einstellen.
Um sich nicht von vorherein dem juristischen Risiko des Übernahmeverschuldens auszusetzen, sollten Schiffsärzte auf Flusskreuzfahrten über breit angelegte Erfahrungen im internistischen und auch chirurgischen Bereich verfügen sowie im Notfalldienst tätig gewesen sein. Hausärzte sind hier sicherlich besonders gut vorbereitet.

Damit die Ärzte an Bord auch im Notfall effektiv arbeiten können, ist vom Reiseveranstalter ein gewisser Stand an medizinischer Ausrüstung zu fordern. Hilfreich wäre, wenn hierzu vonseiten der Fachgesellschaft DGMM entsprechende Standards erarbeitet würden. Außerdem sollte geklärt werden, wer die medizinische Notfallausstattung finanziert und wie sie regelmäßig gewartet wird.

Wenn ein Schiffsarzt auf einer Flusskreuz- fahrt anheuert, sollte dies den Passagieren zu ihrer Sicherheit auch bei Reiseantritt mitgeteilt werden. Darüber hinaus sollten alle Mitreisenden über Möglichkeiten und Grenzen der medizinischen Notfallversorgung an Bord und damit über die Funktion des Bordarztes aufgeklärt werden. Nur akut aufgetretene oder sich verschlechternde Erkrankungen und Notfälle gehören zu seinen Aufgaben. Angesichts der begrenzten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten kann er den Hausarzt am Heimatort bei den Behandlungen von länger bestehenden Vorerkrankungen, bei grundlegenden medikamentösen Einstellungen oder bei wichtigen Entscheidungshilfen bezüglich weiterer Therapien nicht ersetzen. In dieser klaren Aussage gegen- über den Passagieren sind Reiseveranstalter und Reiseleitung an Bord gefragt, damit der Schiffsarzt eben nicht mit Konsultationen überhäuft wird, die strukturell eine Überforderung der begrenzten Bordressourcen bedeuten.

Der Zugang zum Bordarzt sollte ausschließlich über das Front Desk erfolgen. Hier ist bekannt, wo sich der Arzt auf dem Schiff aufhält und wie er bei Hafenaufenthalten oder Landausflügen telefonisch erreichbar ist. Die Präsenzpflicht des Arztes an Bord bei Hafenaufenthalten und im Falle von längeren Busausflügen bei gleichzeitigem Weiterfahren des Schiffes sollte eindeutig geregelt sein, damit es bei Notfällen in Abwesenheit des Arztes nicht zu juristischen Problemen für den Arzt kommen kann.